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Zu Hause sein im Ausland

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  • Zu Hause sein im Ausland

    Eine wöchentliche Kolumne zu schreiben ist wie einen Brief an eine Freundin zu verfassen, der man eigene Gedanken und Überlegungen die aus dem Herzen kommen mitteilt und noch dazu der Inbegriff journalistischer Freiheit. Schreiben was die Augen sehen, die Ohren hören oder die Seele empfindet, ohne bindende Themenvorgabe, ohne Bezugnahme auf aktuelles Tagesgeschehen wie Mord und Totschlag und ohne Rücksichtnahme auf politische Prioritäten seitens der Forumsbetreiber. Ich möchte mich an dieser Stelle einmal für die vielen, teilweise herzlichen aber auch kritischen Reaktionen bedanken. Sie sind immer eine Bereichung meines Lebens.

    Aber weder der geneigte Leser wie auch die angesprochene Freundin teilen immer uneingeschränkt die eigene Meinung. Vielleicht runzeln sie bei dieser oder jener Überlegung zu einem Thema die Stirn und halten meine Gedanken für überflüssig, absurd oder sogar für falsch. Manchmal jedoch lachen sie über meine beschriebenen Unzulänglichkeiten und überlegen, ob eine getätigte Aussage nicht doch einen realeren Hintergrund hat. Manche rufen mich auch an oder schreiben mir ihre Sicht der Dinge und berichten von widerfahrenen Erlebnissen, Missständen die ihnen aufgefallen sind oder empören sich über so manche Gewohnheit der Canarios die in ihren Augen „unzumutbar“ sind und erwarten dann von mir einen geharnischten Artikel über diesen so unsäglich dummen und bösartigen Menschenschlag.

    Die französische Schriftstellerin Anne Germaine de Stael (1766 – 1817), vor deren Schreibkunst sich sogar Napoleon Bonaparte fürchtete prägte den Satz „alles verstehen, heißt alles verzeihen.“ Ich bin weit davon entfernt den Begriff alles zu verstehen für mich in Anspruch nehmen zu können, und meiner eigenen Unzulänglichkeit ist es sicher auch zuzuschreiben, dass ich damit auch nicht alles verzeihen kann, aber ich habe in meinem Leben gelernt dass Toleranz und die Einschätzung der eigenen Schwachstellen und Fehlleistungen eine der wichtigsten Eigenschaften ist.

    „Die Canarios nehmen keine Rücksicht auf ruhebedürftige Ausländer“ höre und lese ich immer wieder. „Sie gehen ihrer Jagdleidenschaft nach ohne zu bedenken, dass der eigene Hund sich vor Angst unterm Sofa verkriecht.“ „Sie feuern ihre Feuerwerke ab, obwohl Herr und Frau Ausländer sich doch gerade die 149. Folge von Wetten dass, anschauen wollen.“ „Sie betrügen die Ausländer.“ Es ist nur ein kleiner Auszug aus den immer wieder aufs Tapet gebrachten Aussagen und ich möchte nicht bezweifeln, dass so manches Geschichterl der Wahrheit entspricht, und schwarze Schafe gibt es halt überall.

    Aber nicht nur, dass jede Medaille zwei Seiten hat müssen wir uns doch immer bewusst sein, dass wir Gast in einer fremden Kultur sind und das alte Sprichwort „wie man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück“ auch hier Gültigkeit hat. Aus diesem Grund möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.

    Vor geraumer Zeit klingelte ein Briefträger an meine Tür, begrüßte mich mit der so typisch canarischen Herzlichkeit fröhlich mit „Seňora Irene, qué tal“ und überbrachte mir einen Geldbetrag. Wer schon einmal eine Überweisung per Post erhalten hat, wird wissen wie viele Papiere da unterschrieben gehören und Dokumente gesichtet werden müssen. Also, Brieftascherl herausgekramt, Ausweis vorgelegt, das eine Zetterl unterschrieben, eine weitere Unterschrift in ein Formular gesetzt, vom Retourgeld das Trinkgeld abgezogen, die Scheine nachgezählt, dreimal im Kreis gedreht, auf dem Esszimmertisch liegen lassen, sich über den heißen Wüstenwind unterhalten, den Briefträger mit herzlicher Verabschiedung zur Tür gebracht und das Geld in die Kassa zu den übrigen Scheinen legen, die darauf warten zur Bank gebracht zu werden. So weit so gut, bis auf den Moment, als es ungefähr 5 Minuten später es an der Tür klingelt, der Briefträger vollkommen aufgelöst davor steht und mir erklärt, dass er mir um 50,-- Euro zuviel gegeben hätte. „Schau nach“ flehte er mich an „Du hast doch das Geld auf den Tisch gelegt.“ Nur da lag es ja nicht mehr, sondern in einer Schatulle in der während der letzten Tage viele Scheine herausgenommen und hineingegeben wurden. „Ich bin sicher, dass der Betrag den Du mir gegeben hast korrekt war“ erwiderte ich und trotz allem spürte ich eine leichte Unsicherheit in mir aufsteigen – was ist, wenn zwei Scheine aneinander geklebt waren? Nicht, dass 50,-- Euro für mich eine leicht zu verschmerzende Summe ist, aber er, der vor mir seine Hosentaschen umdrehte, mir den Ablauf seiner heutigen Tätigkeit mit den unzähligen Papieren versuchte zu dokumentieren, tat mir leid und nachdem ich ihm das Gegenteil nicht beweisen konnte, gab ihm einen 50,--Euro Schein zurück, den er erleichtert annahm und mir versicherte im Postamt ebenfalls noch einmal alles nachzuprüfen.

    Ich war verärgert. Verärgert über mich, weil ich unvorsichtig war und weil ich das Gefühl hatte über den Tisch gezogen worden zu sein und beschloss meinem Mann von dem Vorfall gar nichts zu erzählen.

    Es war vielleicht eine weitere halbe Stunde vergangen, als es erneut an der Tür klingelte, mein Mann der zurück gekehrt war, öffnete, sich einer stürmischen Umarmung seitens des Briefträgers ausgesetzt sah, einen 50,-- Euro Schein in die Hand gedrückt bekam und den wortreich, auf spanisch geführten Redeschwall nicht folgen konnte. Verwundert beobachtete er, wie der Briefträger mich umarmte, mir erklärte, dass die ganze Sache geregelt sein und der Fehler in der Postzentrale passiert war, die ein Formular falsch ausgefüllt hatte.

    Anne Germaine de Stael sagte auch einmal „Es gehört viel Kraft dazu, Gefühle zu zeigen, die ins Lächerliche gezogen werden können“ und Sie, geehrter Leser können sich jetzt Ihre eigenen Gedanken zu dem Vorfall machen. Aber es sind nicht die 50,-- Euro die mein Leben bereichern, sondern das Gefühl ein Mensch unter Menschen zu sein, auch als Ausländerin unter den Canarios.
    meint Eure Wienerin
    Irene-Christine Graf

    • Madee
      #1
      Madee kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      Schöne Geschichte, happy end
      Es gibt sie überall, die ehrlichen Leut'.
      Mir ist auch einmal so ein Mißgeschick passiert - in den schweiz. Bergen - da habe ich Paß und Geldbörsel gleichzeitig verloren, beim Herumtoben im Schnee.
      Als ich's dann bemerkte und retour ging, kam mir schon eine Frau entgegen, die Selbiges in Händen hielt.
      10% Finderlohn waren für mich selbstverständlich. Wollte sie zuerst nicht annehmen, mußte sie zuerst sanft überreden und es stellte sich heraus, daß sie zum ersten Mal ?uros zu sehen bekam. Das war kurz nach der Einführung, ist also schon eine zeitlang her.
      Eine andere Geschichte war nicht so angenehm: Da war ich der Finder einer Geldbörse mit beachtlichem Inhalt. Die Adresse war auch ausmachbar, also ging ich direkt dorthin, klingelte und überreichte das Fundstück.
      Freute mich schon insgeheim auf den Finderlohn..
      Was kam war ein mürrisches Gesicht, ein Blick als ob ich's grad gestohlen hätte, ein schneller Griff und man hatte das Eigentum wieder an sich gerafft, ein arschknappes Danke und päng war die Türe zu.
      Fazit: Wenn ich wieder was finde, bring' ich es ins Fundbüro - und hinterlasse dort meine Adresse.
      Es gibt sie auch überall, die Idioten.

    • Erich
      #2
      Erich kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      @Irene-Christine,
      danke für die schöne Geschichte.
      Du sprichst mir aus der Seele, wir haben hier die gleiche Erfahrung wie du gemacht.

    • Ulrich
      #3
      Ulrich kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      immer wenn ich höre oder lese: "wir sind gast in diesem land", dann frage ich mich "wieso eigentlich gast?"

      ich bin der meinung wir sind mittlerweile nachbarn, miteinwohner in einer region des seeeeeehr langsam zusammenwachsenden europa. gast bin ich, wenn ich urlaub in china mache.

      in deutschland rede ich genau so wie auf teneriffa mit meinem nachbarn (oder er mit mir), wenn etwas das zusammenleben stört, er mir oder ich ihm bei irgendetwas helfen kann. das tue ich auf augenhöhe, als gleichberechtigter partner, nicht als gast mit dem gastgeber.
      dabei ist mir egal, ob er libanese, marsmensch, canario oder deutscher ist.

      von canarios bin ich hier noch nicht über den tisch gezogen worden, wohl aber von deutschen, die meine unerfahrenheit mit den gepflogenheiten hier ausgenutzt haben.

      mit der zeit werden die regionalen unterschiede immer mehr verwischen, in 100 jahren sind wir bzw. unsere nachkommen vielleicht "gast" in einer anderen galaxie, bis auch da die unterschiede verwischen.

    • Gast-Avatar
      #4
      Illy kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      Schöne Geschichte. Es ist immer wieder ein tolles Gefühl, wenn man solche Ereignisse am eigenen Leibe erfährt. Leider sind sie nur selten geworden ...

      Viele Grüße

      Ilja

    • Gast-Avatar
      #5
      Illy kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      Kann mich "nur" Ulrichs Worten anschließen!

      Die redet man schlecht über die "Einheimischen", in dessen Land man wohnt - und beschi.... wird man von den "eigenen" Landsleuten.

      Sollte man sich wirklich mal Gedanken drüber machen!

      Ilja

    • Santana
      #6
      Santana kommentierte
      Kommentar bearbeiten
      Stimme Ulrich zu, ich habe hier viele Freunde aus allen Herren Laender, das find ich ja gerade so intressant, Ulrich auch Chinesen Nihau man kann nur lernen voneinander. ud natuerlich den liebsten aller canarios
      Liebe Wienerin, danke fur diese wunderbare geschichte, fuer mich sind Deine Geschichten die BESTEN
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