So, so ähnlich habe ich eine Interpretation des Satzes „der dümmste Bauer hat die größten Erdäpfel“ gehört und lachte darüber, wie man einen so simplen Satz ins fast unverständliche transferieren kann.
Doch WANN wird FÜR WEN eine Aussage unverständlich? Wann hat man das Recht über jemanden ein Urteil „der ist ja ungebildet“ zu sprechen? Hat nicht jede Sparte ihren eigenen Wortschatz? Gibt es den Begriff „ungebildet“ eigentlich? Und so stellt sich die Frage W A S ist Bildung?
Wenn sich zwei Mediziner über Cholelitiasis oder die exokrine, bzw. endokrine Drüse reden, verstehe ich offen gestanden nichts, und die Erklärung dass das einerseits die Gallensteine und andererseits die Bauspeicheldrüse bedeutet, entlockt mir maximal ein „AHA“.
Wenn der Wiener Installateur das Wort „Holländer“ verwendet, dann meint er eine Rohrverbindung, trifft er dabei einen Kaninchenzüchter, wird dieser begeistert über eine Kaninchenrasse schwärmen, der Musikliebhaber an Wagner´s fliegenden Holländer denken und der Normalbürger an einen Einwohner Hollands. Dass es auch einen Komponisten namens Friedrich Holländer gibt und eine absolut anerkannte Pferderasse des gleichen Namens sei nur so nebenbei erwähnt. Ich gebe zu, dass man vielleicht doch wissen sollte, dass es das Land Holland gibt, aber sonst muss man schon mit einem kaninchenzüchtenden Wiener Installateur verheiratet sein, dessen Mutter Musikliebhaberin ist und dessen Schwester sich dem Reitsport ergeben hat.
Wenn sich der Souschef über die defekte bain marie aufregt oder weil das „mis en place“ nicht zeitgerecht fertig wurde, befinden wir uns in einer Küche. Wenn zwei Leute diskutieren ob eher eine abies alba, eine abies grandis oder eine abies procera gepflanzt werden soll, dann geht es um nichts anderes als welche der Tannensorten für die Pflanzung geeignet wären. Wenn sich Juweliere über carat unterhalten, Optiker über Dioptrine, Agrarökologen über Pflanzenpathologie oder Computerfreaks über SPAMS oder Bits, dann sprechen sie untereinander in ihrer spezifischen Sprache.
Diese spezifische Sprache unter Menschen des gleichen Wissenstandes zu verwenden finde ich absolut zielführend, denn nur so kann manches punktgenau das Erwähnenswerte bezeichnen. Doch leider gibt es auch genügend Menschen die ihre eigene Bildung bzw. ihr Fachwissen als Druckmittel gegenüber anderen benützen um von eigenen Schwachstellen abzulenken. Unter dem Titel „schau doch mal wie g´scheit ich bin“ werden Fachausdrücke verwendet und Sprüche zitiert die den Zuhörer als geistiges Nackerpatzerl dastehen lassen.
Ist der, der weiß wie wann man welche Kartoffel wo pflanzt, aber keine Ahnung hat wer Sokrates war, dumm? Ist es nicht wichtiger zu wissen wie man den köstlich schmeckenden Ziegenkäse herstellt, als philosophische Diskussionen über das Liebesleben der Meerschweinchen führen zu können?
Bildung ist wichtig um den Horizont zu erweitern und Zusammenhänge zu begreifen. Bildung ist die Basis alles Geschaffenen und die Triebfeder der Zukunft. Aber Bildung hat für mich auch etwas mit dem Einschätzen eines Gesprächspartners zu tun und Menschen die nur ihr eigenes (meist sehr beschränktes) Gesichtsfeld kennen, sind in meinen Augen ungebildet, wenn nicht sogar dumm. Ich jedenfalls schätze Menschen ohne Hochschulabschluss aber mit Herzensbildung genauso sehr wie meinen lieben alten Freund aus Wien, der es zu sieben Doktortitel gebracht hat, aber einen Dackel nicht von einem Schäferhund unterscheiden kann.
Dass trotz Bemühens Fehler gemacht werden, beweist ein, vor einiger Zeit stattgefundenes Telefonat:
- „Können wir uns am Mittwoch um 13 Uhr treffen?“
- „Das geht nicht. Ich putze bis 2 Uhr.“
- „Sie Arme, bei den Temperaturen. Ich putze auch den ganzen Tag. “
- „Ach, Sie putzen auch?“
- „Ja, kaum bin ich mit einer Ecke fertig, sehe ich in der anderen Schmutz. Die reinste Sysiphusarbeit.“
- „Nein, denn kenn ich nicht. Meiner heißt Berger und der ist ganz ordentlich.“
Der liebe Gott hat uns die Sprache geschenkt. Verwenden wir sie doch um uns zu verständigen und nicht nur um Klassenunterschiede herauszukehren
meint Eure Wienerin
Irene-Christine Graf
Irene-Christine Graf
Mit deiner Art zu schreiben hast Du dich in den Fels dieser Insel gegraben, Dich untrennbar mit ihr verbunden.
Ich bin begeistert.
LG Don Quijote (Rainer)
Du hast den Nagel mal wieder auf den Kopf getroffen.
Es ist ein großes Geschenk, wenn man so schreiben kann wie Du.
Ich wünsche Dir eine schönen Wochenende.
Irene-Christine Graf
ich denke da immer nur an die einfache feststellung: intelligenz hat nichts mit bildung zu tun.